Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) setzt sich in einer aktuellen Stellungnahme mit Medienberichten auseinander, die die Wirksamkeit der antidepressiven Pharmakotherapie anzweifeln.
Anlass sind die Ergebnisse einer Studie von Irving Kirsch und Mitarbeitern, die am Department of Psychology der University of Hull, Großbritannen, entstanden ist und in der Fachzeitschrift PLOS Medicine (Public Libarary of Science Medicine, Bd. 5, e45) publiziert wurde.
Die Studienergebnisse von Kirsch und Mitarbeitern zeigen im Grunde nichts wirklich Neues. Denn zahlreiche Studien belegen, dass sich die Wirksamkeit eines Antidepressivums desto ausgeprägter von Placebo abgrenzt, je schwerer die Depression der untersuchten Patienten ist. Diese Beobachtung haben Kirsch und Mitarbeiter nun an Zulassungsstudien, die der FDA vorgelegt worden waren, repliziert und interpretieren weiter, dass dabei die signifikante Überlegenheit der Antidepressiva gegenüber Placebo einer abnehmenden Wirkung von Placebo bei zunehmend schwerer Depression zuzuschreiben sei. Auch dies ist seit langem bekannt: Placebo wirkt desto weniger, je schwerer die Depression ist. Der von Kirsch replizierte Befund bestätigt gerade die Wirksamkeit von Antidepressiva insbesondere bei schwerer Betroffenen.
Entschieden widerspricht die DGPPN daher der Lesart in manchen Medien, selbst bei schweren depressiven Erkrankungen erzielten Antidepressiva keine klinische Wirkung im Sinne eines Nutzens für die Patienten, da der Unterschied zwischen den berücksichtigten Antidepressiva und Placebo so gering sei, dass es kaum Gründe gebe, diese Medikamente weiter zu verordnen. Allein vor dem Hintergrund der Suizidgefahr, die für viele Betroffene mit einer Depression einhergeht, ist für die DGPPN die Option einer Therapie mit Antidepressiva unverzichtbar. Statistiken belegen, dass zwischen zehn und 15 Prozent aller Patienten mit wiederkehrenden depressiven Phasen, die deshalb mindestens einmal stationär behandelt werden, durch Suizid sterben.
Hinzuweisen ist zudem auf die Tatsache, dass das englische Wissenschaftlerteam auch dieses Mal nur eine kleine Auswahl von Antidepressiva in ihrer Analyse berücksichtigte: Fluoxetin, Venlafaxin, Nefazodon, Paroxetin. Eines dieser Antidepressiva – Nefazodon – wurde bereits vor Jahren wegen kritischer Nebenwirkungen vom Markt genommen. Von diesen Antidepressiva gingen Daten aus nur 35 Studien in die Analyse ein. Kirsch trägt dazu zwar vor, dass er sich auf diese wenigen zur FDA-Zulassung eingereichten Studien beschränkt habe, um jede Form von Studienselektion zu vermeiden. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass für die vorgestellten Antidepressiva inzwischen zahlreiche weitere Studien vorliegen, die von Kirsch aber nicht berücksichtigt wurden.
Für die DGPPN stellt der Präsident, Professor Dr. med. Wolfgang Gaebel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die Frage, ob in Studien gemessene mittlere Besserungsraten tatsächlich ein geeignetes Maß für die klinische Relevanz im Sinne eines Patientennutzens darstellen. „Den einzelnen Patienten interessiert doch“, so Gaebel, „welche Wahrscheinlichkeit ihm geboten wird, sich in einer Zeit von etwa sechs Wochen wieder gesund zu fühlen. Hier liegt der Unterschied zwischen einem Antidepressivum und Placebo typischerweise bei zehn bis 20 Prozent. Das bedeutet, es müssen fünf bis zehn Patienten mit dem Antidepressivum behandelt werden, um eine spezifisch dem Antidepressivum zuzuschreibende signifikante Besserung zu erzielen. Im Vergleich zu vielen anderen medizinischen Interventionen bedeutet dies eine beachtliche Wirksamkeit. Deshalb kann man im Interesse der betroffenen Patientinnen und Patienten nicht auf die Pharmakotherapie bei Depressionen verzichten.“
Für den Präsidenten der DGPPN, Professor Gaebel, bleibt es trotz aller Diskussionen um die Wirksamkeit von Antidepressiva selbstverständlich, dass in jedem Einzelfall die Indikation zur Behandlung mit einem Antidepressivum sorgfältig abzuwägen ist. Letzten Endes entscheidet der oder die Betroffene nach umfassender ärztlicher Aufklärung, welche der möglichen Therapieformen unter Einschluss von Psychotherapie gewählt wird.
Hinzuweisen ist abschließend auf die Leitlinien der DGPPN zur Diagnostik und Therapie der Depression, die gegenwärtig überarbeitet werden und in Kürze in aktualisierter Fassung vorliegen.
Originaltext der DGPPN-Stellungnahme im Internet:
http://www.dgppn.de/de_stellungnahmen-2008_153.html
Leitlinien der DGPPN zur Depression im Internet:
Seiten der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich-Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF):
http://www.leitlinien.net
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.